Artikel FAZ Prof. Dr. Wolfgang Vieweg

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.09.2013 | Seite 18
Wirtschaft | Der Betriebswirt


Alle suchen Risikomanager – niemand Chancenmanager

Führung nach Zielen ist heute nicht mehr zielführend

von Wolfgang Vieweg

Managern geht es vornehmlich darum, Risiken aufzuspüren und dann irgendwie zu beherrschen. Erfolg wird gesichert durch Ausschaltung jeglicher Risiken. Über Chancen reden wir kaum. Chancen haftet etwas Positives, aber auch etwas Spekulatives, Draufgängerisches, Verwerfliches an. Es ist typisch, dass auf dem Deutschen Betriebswirtschaftertag in Frankfurt diese Woche Risikomanagement im Vordergrund der Diskussion über „Management in unsicheren Zeiten” steht – und nicht Chancen­management (F.A.Z. vom 2. September).

Wer seine Chancen nutzen will, muss seine Optionen clever managen, muss also mit Zielen anders umgehen. Der Drucker'sche Ansatz eines Management by Objectives wird insofern fraglich und ein Options­management tritt in den Vordergrund. Ziele geben zwar Orientierung, aber um den Preis, dass sie die Wahrnehmung, das Entscheiden und Handeln verengen. Ziele verstellen den Blick auf die Möglichkeiten und Chancen, auf die Optionen, die man hat. Um in der komplexen und unsicheren Welt von heute bestehen zu können, müssen wir uns jedoch öffnen. Methodenbedingte Vorwegselektionen verkürzen die Szenarien und schwächen die Position im Wettbewerb.

Die Welt besteht nicht aus Richtig und Falsch. Daher hat derjenige, der nichts falsch gemacht hat, noch lange nicht alles richtig gemacht. Denn es existieren zu jeder Zeit unüberschaubare Möglichkeiten und Chancen. Manager müssen geschmeidig in den gegebenen Möglichkeitsräumen surfen. Klaus Schwab, der Präsident des Weltwirtschaftsforums, schrieb bereits 1976 über Chancenmanagement. Chancenmanagement ist das ständige Bemühen, methodisch und menschlich das Unternehmen auf die Dynamik seiner Umwelt einzustellen. Es ist ein offenes System, dessen Optimierung ein dauernder Prozess der geistigen, der kreativen Anstrengung ist. Es ist unbequem für die Führungskräfte und Mitarbeiter, die an feste Ordnungssysteme gewöhnt sind.

Wolfgang Lück redet gleichfalls über Chancenmanagement und über Chancenmanagementsysteme. Ein effizientes Chancenmanagement muss sich an der Unternehmensstrategie ausrichten, da durch die Festlegung der Unternehmensstrategie in einem großen Umfang vorgegeben ist, welche Chancen sich aus den unternehmerischen Aktivitäten ergeben (können); man könnte dies aber auch umkehren: Die Strategien werden entlang unserer erkannten Chancen entwickelt. Schließlich obliegt es, nach Auf­fassung von Lück, dem Aufsichtsrat eines Unternehmens zu prüfen, ob die Unternehmensleitung alle Maßnahmen getroffen hat, um bestehende und potentielle Chancen identifizieren und analysieren zu können, und ob die unternehmensinternen Maßnahmen zur Chancensteuerung ausreichend sind. Dabei ist darauf zu achten, dass sich der neue vielversprechende Ansatz nicht zu einer schlichten Chancen-Administration reduziert. Ein Zuviel an Administration und Dokumentation verhindert tendenziell das Hervorbringen aussichtsreicher Chancen.

Malcolm Gladwell meint, Erfolg lässt sich nicht nur als Ergebnis persönlicher Anstrengungen erklären. Es sind immer auch außergewöhn­liche Chancen (und Zufälle), die es erfolgreichen Menschen ermöglichten, anders zu lernen und zu arbeiten. Das Spiel mit den Möglichkeiten und Chancen ist die Grundlage des Erfolgs. Die Moderne lebt in der Mög­lichkeitsform; es geht um die Steigerung der Handlungsmöglichkeiten. Ein auf Risikovermeidung gerichtetes Management wird dem nicht gerecht. Ein chancenorientierter Führungsansatz wie das Management by Options scheint ungleich leistungsfähiger. Dennoch werden in der Praxis überall Risikomanager eingestellt, Chancenmanager hingegen nicht. Für einen Chancenmanager gibt es die besagten festen Kategorien nicht. Chancen­management setzt also eine ganz besondere Verantwortungsfreude voraus. Deshalb muss der Chancenmanager in hohem Maße flexibel denken und handeln können. Ein solcher Chancenmanager kann nach Schwab kein Administratortyp, sondern muss ein Vollblutunternehmer sein.

Wolfgang Vieweg ist Professor für Allgemeine Betriebswirt­schafts­lehre, Rechnungswesen und Wirtschaftsethik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt.

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